Die Verfolgung der österreischischen Jüd:innen - Der Restitutionsfall Stephan Poglayen-Neuwall
Am 9. November ist der Jahrestag des Novemberpogroms von 1938, in dessen Zuge in Wien im Laufe von mehreren Tagen Synagogen und Bethäuser sowie Geschäfte und Wohnungen der jüdischen Bevölkerung in Brand gesteckt, verwüstet und geplündert wurden. Der von Staats- und Parteiführung angeordnete Pogrom bot den NS-Machthabern einen willkommenen Anlass zur Durchführung und Legitimierung der völligen Ausschaltung der als Jüd:innen geltenden Personen aus dem Wirtschaftsleben.
Damit und mit der nach dem Novemberpogrom verhängten sogenannten „Judenvermögensabgabe“ verschärfte sich der wirtschaftliche Druck auf Personen, die als Jüd:innen verfolgt wurden. Um den eigenen Lebensunterhalt oder die Flucht zu finanzieren, waren viele von ihnen gezwungen ihr letztes Hab und Gut zu geringen Preisen an den Kunsthandel und an Museen zu veräußern, worunter sich auch Kunstwerke und andere Kulturgüter befanden. Diese Zusammenhänge versucht heute die NS-Provenienzforschung aufzuarbeiten. Auch im jüngsten Restitutionsfall des Heeresgeschichtlichen Museums waren Notverkäufe einer verfolgten Person zu untersuchen. Es handelte sich dabei um Erwerbungen von Dr. Stephan Poglayen-Neuwall (1888-1951) in den Jahren 1938 und 1939.
Stephan Poglayen-Neuwall kam am 25. Dezember 1888 als Sohn des Marineoffiziers Arthur Poglayen (1850–1890) und der Gabriele Freiin von Neuwall (1853–1889) in Pola (heute Pula in Kroatien) zur Welt und wurde im Jänner 1889 römisch-katholisch getauft. Dennoch galt er den Nationalsozialisten gemäß den Bestimmungen der Nürnberger Gesetze als sogenannter „Mischling 1. Grades“ und war somit ebenso von Verfolgung bedroht wie sein Sohn Heinz-Ivo. Nachdem ihm seine Tätigkeit als Generalvertreter bzw. Autor für die Zeitschrift „Die Weltkunst“ mit 1. Mai 1938 aufgekündigt worden war, veräußerte er 42 Objekte, vorwiegend Uniformteile, Fotografien, Waffen und Ölgemälde aus dem persönlichen Besitz seiner Vorfahren und Verwandten, an das Wiener Heeresmuseum. Dabei lagen die gebotenen Ankaufspreise stets unter den anfänglichen Preisvorstellungen Poglayen-Neuwalls.
In der Sitzung des Kunstrückgabebeirats vom 27. September 2024 wurde daher wie folgt erwogen:
„Die von ihm vorgenommenen Verkäufe sind daher grundsätzlich als Entziehungen zu beurteilen, unabhängig davon, ob die Initiative zum Verkauf von ihm ausgegangen ist und ob er einen angemessenen Preis erhalten hat. Auch ist der zeitliche Zusammenhang der Verkäufe 1938 und 1939 mit seiner Ausreise und der damit einhergehenden Geldnot gegeben.“
Der Beschluss der gefasst wurde, empfiehlt demnach, die 42 angekauften Werke an die Erb:innen nach Stephan Poglayen-Neuwall zu übereignen, wobei heute nur noch 21 Objekte im Museum vorhanden sind, während 21 Objekte verschollen sind.
HGM-Provenienzforscher Stefan Kurz hat sich in einem Beitrag für den Jahresbericht 2023 des Heeresgeschichtlichen Museums detailliert mit der Biografie Poglayen-Neuwalls befasst. Darin erzählt er unter anderem die spannende Geschichte, wie ein Fotoalbum und eine Fahne der SMS Saida, Stücke von besonderer Bedeutung für Stephan Poglayen-Neuwall, welche 1940 nicht vom Heeresmuseum angekauft wurden, doch noch als Schenkung seines Sohnes, eines Zoodirektors in den USA, ohne Bezugnahme auf die Vorgänge während der NS-Zeit in den 1990er Jahren ins Heeresgeschichtliche Museum gekommen sind.
Dieser und weitere Beiträge von Expert:innen der Sammlungsabteilung zu ausgewählten Objekten aus der Sammlung Stephan Poglayen-Neuwalls können hier nachgelesen werden: Artikel Jahresbericht 2023 HGM.
© HGM Archiv: Die Brigg S. M. S. Saida (1+3), Die Besatzung der Saida nach dem Schiffsunglück am 27. November 1874 mit u. a. Linienschiffsleutnant August Trapp (2. Reihe, mittig), Linienschiffsfähnrich Arthur Poglayen (1. Reihe, mittig) sowie dem italienischen Offizier Giuseppe Carnevale (2), Arthur Poglayen im Jahr 1874 (Listenansicht außen).